Erfahrungsbericht

Sophie (35 Jahre): 

Am Anfang ist da nur Chaos in meinen Gedanken. Sie springen wie Ping-Pong-Bälle hin und her, prallen immer wieder von der Schädeldecke ab und kollidieren miteinander. Langsamer werden sie dadurch nicht. Kaum, dass ich einen Gedanken länger fassen könnte. Dies ist meine erste Medizinwanderung durch einen mir bisher unbekannten Wald und ich frage mich, was ich hier eigentlich tue. Zum Glück habe ich vorher mit einem Kompass etwas geübt, so weiß ich wenigstens ungefähr, wo ich mich befinde.
Als ich mich für den „Einführungskurs in die Ritualarbeit mit Jugendlichen in der Natur - WalkAWay“ angemeldet hatte, war meine Erwartung ein monologähnliches Seminar über den Ablauf und die Organisation eines WalkAway, sowie Dinge, die man rechtlich und kalkulatorisch beachten sollte und einige gemeinsame Waldwanderungen. Ich hatte mich seit geraumer Zeit mit Berichten über Gewalt an Schulen aber auch mit Drogen oder zweifelhaften Mutproben unter Jugendlichen, wie beispielsweise das Komasaufen, beschäftigt. Dabei stellten sich mir die Fragen, was bedeutet das für mich als Mutter? Und was kann ich tun, damit meine beiden Jungs zu selbstbewussten Erwachsenen werden, die Vertrauen zu ihren Stärken haben und ihre Schwächen entsprechend einschätzen können? Bei meinen Recherchen stieß ich auf das Konzept des WalkAway und wusste sofort, das möchte ich ausprobieren.

Und nun laufe ich durch einen Wald, absichtlich abseits der Touristenwege, mit der Aufgabe „Wo stehe ich in meinem Leben? Was bewegt mich im Moment?“ Damit habe ich meine eigene Büchse der Pandora geöffnet und nur noch das Bedürfnis, sie irgendwie wieder zu schließen. Wo ich stehe? Am Scheideweg. Das Alte fühlt sich nicht mehr richtig an und die neuen Ideen flößen mir Angst ein. Welche Richtung ist für mich optimal, welche weniger? Mit dieser Frage beende ich meine Medizinwanderung, denn die Zeit ist um und ich merke, ich hätte noch mehr davon nötig.

Der zweite Tag beginnt mit einem für mich ungewohnten Ritual des Räucherns mit Kräutern und gemeinsamem Singen. Dabei fühle ich mich anfänglich unwohl, aber das legt sich nach einer Weile. Ich muss sogar erstaunt feststellen, dass ich mich danach entspannt und ruhig fühle. Inzwischen glaube ich, dass gerade diese Rituale, die im Alltag vieler Menschen recht selten vorkommen, den WalkAway zu einem besonderen Erlebnis machen. Zwei weitere Medizinwanderungen führe ich im Rahmen des Kurses durch. Besonders die Beschäftigung mit der Frage „Was habe ich auf meinem Lebensweg verloren?“ macht mir bei meiner Wanderung deutlich, was in meinem Leben gerade weniger optimal läuft, ja sogar Schmerzen verursacht.

Das Seminar gestaltete sich für mich grundlegend anders als erwartet. Wir erhielten Einblicke in die Ritualarbeit bezogen auf einen WalkAway, aber auch Einblicke in unsere eigene Seele und die Gefühle und Gedanken der anderen Teilnehmer. Unsere „Trainer“ gestalteten den Kurs mit viel Liebe zum Detail und vermittelten uns die Thematik mit ansteckender Begeisterung. Innerhalb kurzer Zeit fühlten wir uns als eine Art Gemeinschaft und nicht mehr als Fremde, als die wir angekommen waren. Wir erlebten die Technik des wertfreien Spiegelns von Erfahrungen, die wir während unserer Wanderungen machen konnten und spürten die Entfaltung der Kraft ausgewählter Worte. Kraft, die der Geschichtenerzähler aufnehmen und für sich nutzen kann. Ein Geschenk, über das ich mich sehr gefreut habe. Habt Dank dafür!

In diesen drei Tagen habe ich erkannt, dass ich mich an einem Lebensübergang befinde, der mir irrtümlich Angst gemacht hat. Diese Angst hat mir wertvolle Energie geraubt, die ich nun in die Erfüllung meiner Ideen stecken werde. Wohin mich mein Weg führen wird, weiß ich aktuell noch nicht, aber das ist auch nicht mehr schlimm für mich. Das Konzept des WalkAway kann aus meiner Sicht für meine Kinder genauso bereichernd sein und dabei helfen, ihre Persönlichkeitsentwicklung positiv zu beeinflussen. Wenn sie soweit sind, werde ich es Ihnen erklären. Bis dahin gehe ich ab und an allein in den Wald und lasse die Natur mit all ihrer Schönheit ihre stärkende Wirkung auf meine Seele entfalten.